Sonntag, 12. April 2015

Hunderte von alten Seelen



Pepes Bar ist kaum wiederzuerkennen. Salvador hat den ganzen Tag gewerkelt, ich habe mit Katharina, die den Service übernehmen will, alles geputzt und Zuckerschnäuzchen kam auch ein paarmal vorbei, um beim Streichen und Einrichten zu helfen. Den Kreuzschlitzschraubenzieher braucht Salvador jetzt unbedingt, um irgendwas in der Küche zu reparieren. Aber … um Himmels willen, woher kommt denn dieser Qualm? Es brennt! Mein Café brennt!

Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich auf das Schilf zustürze, hinter dem sich das Café verbirgt. Kaum dass ich um die Ecke gebogen bin, entdecke ich Paul, der auf der Terrasse steht und wie verrückt bellt. Als er mich sieht, springt er auf mich zu. Aus der offenen Tür quillt dichter weißer Qualm. Mein Gott!

„Salvador! Katharina! Wo seid ihr?“

 Ich muss husten. Dann erkenne ich Salvadors Silhouette, die mir aus dem Rauch entgegenkommt. „Gracias a Dios! Dir ist nichts passiert!“, stoße ich hervor.

Doch er winkt nur ab, verdreht ein bisschen die Augen und geht an mir vorbei auf die Stufen der Veranda, wo er sich in aller Seelenruhe eine Zigarette anzündet.

Irritiert mache ich einen Schritt ins Café und wedele mit den Händen herum, um den Qualm zu vertreiben. Nein, es riecht nicht verbrannt, sondern nach … Indien … einem Tempel … Kurz bin ich verwirrt.

„Was ist denn hier los?“, rufe ich in den Nebel.

„Grundgütiger! Da sind ja Hunderte von alten Seelen!“, kommt es aus dem wabernden Grau zurück.

„Katharina!“

Schemenhaft löst sich eine stattliche Gestalt aus dem Dunst. Tatsächlich, Katharina. Ihre Hochsteckfrisur lässt sie noch ein bisschen größer erscheinen und der dicke Wollpulli mit dem Rollkragen noch ein bisschen üppiger. Unwillkürlich muss ich an den Spitznamen denken, den mein Zuckerschnäuzchen ihr gegeben hat: Mutter Erde. 

Ich schnappe mir einen Putzlumpen, um den Brandherd zu ersticken. Nur – wo ist der? Vielleicht in der Küche?

„Hör sofort auf, mit diesem nassen Lappen rumzuschlagen!“, ruft Katharina und streckt die Arme vor.

Jetzt sehe ich, dass sie ein Schälchen in der Hand hält. Aus dem es qualmt. Ich lasse den Putzlumpen sinken. „Was ist das?“, frage ich misstrauisch.

„Echtes Palo Santo aus Peru! Vom Schamanen geweiht, natürlich“, sagt Katharina mit Ehrfurcht in der Stimme, während es aus dem Schälchen weiter raucht.

Ich muss husten und frage mich, was dieses Heilige Holz in meinem Café verloren hat. „Katharina, mach sofort dieses stinkende Zeug aus und …“

„Bist du verrückt?“, fällt sie mir ins Wort. „Willst du etwa all diese armen Seelen, die hier seit Jahrzehnten hausen, in deinem Café haben?“ .... weiterlesen ...




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